Im Jahr 2014 hielt ein Meisterstück des Klavierbaus Einzug ins MAKK und gehört seit dem zu den Highlights der Ständigen Sammlung: der Salonflügel der Schiedmayer Pianofortefabrik Stuttgart. Um 1900/01 erbaut nach einem Entwurf von Peter Behrens. Der Flügel galt als verschollen und gab daher einige Rätsel auf: Wo befand er sich im Zeitraum von 1921 bis ca. 2010? War es wirklich DER Flügel aus dem Darmstädter „Haus Behrens“ auf der Mathildenhöhe oder eine Fälschung? Der Vergleich mit historischen schwarz-weiß Fotografien und die Beschreibungen in zeitgenössischen Veröffentlichungen ließen Zweifel aufkommen. Insbesondere die Rede vom „grauen Ahornholz“ des Gehäuses verwunderte. Die ursprüngliche Färbung hatte sich im Laufe der Zeit durch die Alterung des Holzes und Restaurierungen verändert.
Verbarg sich hinter der auffälligen Gestaltung des Flügels ein besonderes Konzept? Eine künstlerische Aussage? Nicht alle Rätsel konnten gelöst werden. Die Provenienzgeschichte etwa bleibt vorerst ungelöst. Klar ist nur, dass Behrens den Salonflügel mit nach Berlin nahm, als die AEG Behrens als Künstlerischen Beirat berief. Doch der Flügel ist tatsächlich das Instrument aus dem Musikzimmer, welches sich im Erdgeschoss des Haus Behrens befand und aufgrund seiner Gestaltung für großes Aufsehen gesorgt hatte. Zeitgenossen fühlten sich an Nietzsche erinnert und sprachen von einem „Zarathustra-Stil“. Friedrich Nietzsches Werk „Also sprach Zarathustra“ handelt von einem Einsiedler, der nach einer Weile der Abgeschiedenheit wieder den Kontakt zur Gesellschaft sucht, um seine Philosophie und seine Lehren zu verkünden. Zentrales Anliegen waren die Selbstoptimierung, die „Veredelung“ und das Wollen, über sich selbst hinaus zu wachsen. In diesen Forderungen fanden sich viele der damaligen Künstler, darunter auch Peter Behrens, wieder.
Im Text treten einige Elemente immer wieder auf, die Behrens bei der Gestaltung des Musikzimmers und des Salonflügels inspirierten: Die Höhle des Einsiedlers, die Sonne, der Diamant sowie der Adler. Als eines der Lieblingstiere Zarathustras nimmt der Adler einen besonderen Stellenwert ein. Bei genauerer Betrachtung des Salonflügels erkennt man die Merkmale des Zarathustra-Stils in den geometrischen Intarsien, mit denen Behrens das Instrument belegte. Der Deckel ist unzweifelhaft als Adlerschwinge gestaltet. Entsprechend ruht der Korpus auf facettierten Beinen, die gefiederten Vogelbeinen gleichen. Und der Rest? Der umlaufende Rhombenfries entpuppt sich als eine Abfolge von Augenpaaren mit dazwischen liegendem Schnabel. Ausgehend von Nietzsche und der Verehrung, die Behrens diesem entgegen brachte, wird klar: Der Salonflügel wurde insgesamt als Adler gestaltet.